Von 25. bis 28. Juni unternahm die Norddeutsche Philharmonie Rostock eine der spannendsten aber auch schwierigsten musikalischen Reisen, die man innerhalb der grossen Sinfonik machen kann: Wir spielten an vier aufeinander folgenden Abenden alle neun Sinfonien von L. v. Beethoven in Rostocks wunderbarem IGA-Park.
Vielleicht fragen Sie sich, was die Beweggründe einer solchen künstlerischen Kraftanstrengung sind? Bitte erlauben Sie mir dazu ein paar persönliche Gedanken:
Das Zyklische in der Musik hat mich seit jeher fasziniert, da sich dabei sowohl für den interessierten Hörer als auch für die ausübenden Künstler die Möglichkeit einer Gesamtschau auf die künstlerische, aber oft auch menschliche Entwicklung eines Komponisten bietet. Ein enger zeitlicher Rahmen fördert dabei die Erinnerung, die Konzentration und die Bildung eines übergeordneten Bogens. Bei kaum einem Komponisten bietet ein Gesamtzyklus ein so messerscharfes Porträt einer einzigen Musikerpersönlichkeit, quasi im Zeitraffer, wie beim Titanen Beethoven, der als erklärter Humanist nicht nur Utopien über Menschlichkeit und Brüderlichkeit wie in der neunten Sinfonie, sondern auch Politisches wie in der dritten und fünften Sinfonie, Naturbilder wie in der sechsten Sinfonie, beissende Ironie (achte Sinfonie), versteckte Leidenschaften (vierte Sinfonie) oder jubilierende Lebensfreude wie in der zweiten und siebten Sinfonie komponierte. Eine solche Gesamtschau ermöglicht auch einen Blick auf den Umsturz der klassischen Sinfonik, wie sie davor von Haydn und Mozart perfektioniert wurde. Wir erleben die Entwicklung der Sinfonie an sich, die mit der Anlehnung an die Tradition in der ersten Sinfonie beginnt. Bereits in der dritten Sinfonie mit ihren gigantischen Ausmaßen wird diese Tradition komplett durchbrochen, in der achten karikiert, um schliesslich, wenn instrumentale Mittel nicht mehr ausreichen, um eine der größten und wichtigsten Botschaften der Menschheit zu übermitteln, in der neunten Sinfonie komplett ad acta gelegt zu werden. Mit dem Hinzufügen der menschlichen Stimme schlägt Beethoven bereits eine direkte Brücke zu Gustav Mahler, dem wahrscheinlich wichtigsten Sinfoniker des 20. Jahrhunderts. Es ist nur zu verständlich, dass die Komponisten um und nach Beethoven (insbesondere Schubert, später Schumann, Brahms und Bruckner) wohl so niedergeschmettert von der utopischen Anlage (die vielleicht auch nur durch die völlige Ertaubung Beethovens so möglich war?) der neunten Sinfonie waren, dass sich erst Mahler wieder an die menschliche Stimme in seinen frühen Wunderhorn-Sinfonien wagte.
Nachdem ich bereits zweimal die 32 Klaviersonaten von Beethoven zyklisch zur Aufführung brachte, ist es mir eine ganz besondere persönliche Freude, Ihnen zusammen mit der Norddeutschen Philharmonie meinen ersten geballten Zyklus der Sinfonien des Bonner Meisters zu präsentieren. Die Programmzusammenstellung erfolgte absichtlich nicht chronologisch, um auch jedes einzelne Konzert zu einem dramaturgisch spannenden Erlebnis zu machen.
Herzlichst,
Ihr Florian Krumpöck