Solo Musica präsentiert die junge, aus Südkorea stammende Cellistin YuJeong Lee als die tragende Künstlerin des Albums, bildet sie auf dem Cover ab und verleiht ihr Vorrang gegenüber allen anderen Musikern, einschließlich dem Komponisten. Für mich aber ist der wahre Star dieser CD der Dirigent Florian Krumpöck. Das soll die herausragende Leistung der Cellistin keinesfalls schmälern. Ich werde mich ihr an späterer Stelle näher widmen. Krumpöck, Jahrgang 1978, ist Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Norddeutschen Philharmonie Rostock und des Volkstheaters Rostock. Zahlreiche bejubelte Aufnahmen von Schubert-, Liszt- und Mozartkompositionen belegen überdies seine Meisterschaft als Pianist. Zweimal hat er zudem im Rahmen von Konzerten den vollständigen Werkzyklus der 32 Klaviersonaten Beethovens aufgeführt. Auf dem vorliegenden Album dirigiert er Prokofievs 1. Suite aus Romeo und Julia mit solcher Einfühlung und Fantasie, dass man sich wünscht, er hätte das vollständige Ballett eingespielt. Ich jedenfalls würde nach dieser Interpretation gern noch viele andere Werke in seiner Interpretation hören. Wenn er nun mit seinem Orchester einen Zyklus von Mahler-Symphonien in Angriff nimmt, hoffe ich, dass zumindest einige davon auf CD erscheinen.
Auf dem aktuellen Album dirigiert er Prokofiev voll und ganz überzeugend, mit beherzten Akzenten auf den Details und einem glanzvoll agierenden Orchester. Seine Phrasierung des Liebesthemas aus Romeo und Julia (Nr. 6; Track 9) erhebt sich mit solcher Schönheit und Leidenschaft, dass man sich der Gänsehaut kaum erwehren kann, und die darauf folgende Sterbeszene Tybalds schäumt über vor Energie, Dynamik und vielerlei aussagekräftigen Details. Die 15 vom Schlagwerk dominierten Akkorde, die nach dem frenetisch interpretierten Duell zwischen Romeo und Tybalt erklingen, sind mit ihrem seltsam hohlen und bedrohlichen Klang wie durchdrungen von bösen Vorahnungen. Der sich anschließende, von den Blechblasinstrumenten geprägte Trauermarsch wiederum ist von feinster Schmerzlichkeit und gänzlich unmilitärischer Schlichtheit. Ähnlich inspiriert präsentieren sich die anderen Stücke der CD. Auch sie überraschen mit einer Fülle lebhafter Details und erfüllen die Musik mit selten gehörter Farbigkeit und Charakter.
Liest man die Kritiken, ist Krumpöck offenbar auch als Pianist von ausgesuchtem Talent – doch vielleicht ist Krumpöck der Dirigent sogar noch besser. Selbst wenn ich mir mein Urteil nur nach den hier vorgestellten Einspielungen bilden kann: Er könnte irgendwann zur Weltspitze der Dirigenten gehören.
Auch YuJeong Lee wird von sich reden machen. Keineswegs möchte ich ihre Leistung durch meine große Begeisterung für den Dirigenten schmälern: Sie trägt eine exzellente Darbietung der Sinfonia Concertante bei, die vielen als das schwerste aller Cello-Konzertwerke gilt. Bekannt als Symphonie-Konzert für Cello und Orchester (1950-1952), handelt es sich bei dieser Komposition um eine überarbeitete und erweiterte Fassung von Prokofievs Konzert für Cello und Orchester (1933-1938). Mit seiner Dauer von rund vierzig Minuten ist es das längste und wohl lyrischste Konzert des Komponisten, ein Werk randvoll mit großen romantischen Themen. Viele von ihnen teilen den wallenden, opulenten Charakter von Romeo und Julia, was die Zusammenstellung auf einer CD nahelegt. In der Tat ist das Motto des Auftakts eine schmissigere Version desjenigen in Romeo und Julia; es leitet zudem die gesamte Partitur ein.
Lee bewältigt die Herausforderungen der Sinfonia Concertante mit großer Leichtigkeit, präzisem Spiel und gefühlvoller Phrasierung der vielen wunderbaren Themen. Auch hier leistet Krumpöck Großartiges, auch hier beweist das Orchester sein Temperament und seine Akkuratesse. Die CD gibt den lebhaften Klang beider Werke gut wieder und bietet ein informatives Booklet. Anhänger von Cellomusik werden das Album wegen der talentierten YuJeong Lee haben wollen, die hier offenbar ihr Debut als Solistin gibt. Wer sich für ein vielversprechendes neues Gesicht in der Dirigentenszene interessiert, wird diese CD ebenfalls besitzen wollen. Sehr empfehlenswert!